Moin zusammen,

mein Name ist Georg Saathoff und ich möchte auf dieser Seite meine Kurzgeschichte vorstellen.
Bevor ich zur Geschichte komme ein paar Worte zu mir:
Ich bin 36 Jahre alt und komme aus dem wunderschönen Ostfriesland. Seit frühester Jugend lese ich Fantasy Romane und bin begeisterter Rollenspieler wie z.B: Das Schwarze Auge.
Beruflich bin ich, als Informatiker unterwegs aber die Leidenschaft zur Fantasy ist mir in all den Jahren geblieben.
In den letzten Jahren passierte es jedoch, dass ich kaum noch ein Buch in die Hand nehmen konnte, ohne dass sich eigene Ideen in den Vordergrund drängten.
Das wäre eine coole Geschichte oder das würdes du gerne Lesen. Das Magiesystem hätte man so anders machen können usw..
Ich habe mich dann vergangenes Jahr dazu entschlossen, dass ich mich mit dem Schreiben beschäftige. Ich habe mir viele „Theoretische“ Videos angesehen von denen es einige ziemlich gute gibt.
Unter anderem habe ich dabei dann auch den Kanal von Robert Corvus entdeckt. Ich kannte ihn bislang nur durch seinen Roman „Drachenmahr“.

Seine Videos zum Thema Schreiben fand ich sehr sachlich und informativ. Nachdem ich einige Videos gesehen hatte, habe ich mich etwas mehr mit ihm beschäftigt.
In derselben Woche hat er zur Feier seiner EBOOK Neuveröffentlichung von „Die Schattenherren“ einen Kurzgeschichtenwettbewerb ausgerufen.

Die Aufgabe
Schreiben Sie eine Geschichte von höchstens 15.000 Anschlägen, die in der Welt der Schattenherren spielt! In der Geschichte muss ein Element vorkommen, das einem Raben zuzuordnen ist – der Vogel selbst, sein Schatten, eine Rabenfeder, oder vielleicht hört man sein Krächzen.

Ich dachte mir dann: Warum nicht. In erster Linie fand ich die Chance genial, dass Herr Corvus Feedback zu jedem Beitrag angeboten hat.
Danach habe ich mir dann die Ebooks gekauft und bin angefangen.
Nachdem ich dann die Romane gelesen hatte habe ich mir einige Wochen gegönnt um über die Geschichte nachzudenken und mir darüber einig zu werden, was ich denn schreiben möchte.

Es gab einige Szenen, die ich interessant fand und einige Ideen zu den Romanen. Letztendlich ist es der gleich folgende Beitrag geworden.
Ich habe fristgerecht zum 06. Januar meine Geschichte eingereicht und war sehr froh darüber, einfach mal eine Geschichte geschrieben zu haben. Ich war sehr gespannt auf das Feedback.
Sehr erstaunt war ich dann über die Tatsache, dass ich es geschafft hatte eine Runde weiter zu kommen. Damit hatte ich nun absolut nicht gerechnet. Aber die Arbeit ging dann weiter. Es gab ein sehr ausführliches Feedback und dieses habe ich dann genutzt, um die Geschichte noch einmal zu überarbeiten.
Mir hat die Arbeit an dieser Geschichte sehr viel Spass gemacht. Die allergrößte Schwierigkeit hatte ich mit dem Zeichenlimit.
Die Finalversion hatte etwa 17000 Zeichen und ich musste dann 2000 Zeichen kürzen. Dies waren hauptsächlich Dinge, die die Welt etwas lebendiger machen sollten. Aber Vorgabe ist Vorgabe und 2000 Zeichen mussten raus. Die Erfahrung war für mich sehr interessant und das Feedback sehr lehrreich. Die Teilnahme war für mich persönlich so oder so ein absoluter Gewinn.

Weitere Details zu der Schattenherrentrilogie und zum Wettbewerb sowie der Gewinnergeschichte von Autorin Jessica Bernett findet ihr auf: https://www.robertcorvus.net/

Ich möchte mich abschließend bei einigen Personen bedanken.
Harald, Maike, Johann, Doro, Nico und Papa.
Vielen Dank für das Lesen dieser Geschichte und euer wunderbares Feedback.

Und nun wünsche ich euch viel Spaß mit meiner Geschichte:

Der Weg in die Schatten von Georg Saathoff (Saathoffg(at)googlemail.com)

Hitze erfüllte den Raum. Jay hustete und der Rauch brannte in ihrer Lunge. Kampflärm war zu hören und die Schreie kaum zu ertragen. Von der Decke fielen brennende Stücke zu Boden und das Holz knackte.
Jay hockte neben ihrer Mutter, die unter einem Balken eingeklemmt war. Sie schien jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren.
»Mutter, was geschieht hier?«, schluchzte sie.
»Die Schatten sind gekommen. Du musst fliehen.« Die Stimme ihrer Mutter war schwach. »Schatten? Ich verstehe nicht.«
Es krachte und die Eingangstür fiel in den Raum. Die Silhouette einer großen Gestalt erschien im Türrahmen und schritt durch die Flammen.
Draußen schrie jemand: »Verdammt, Rorgon! Schwing deinen Arsch hierher. Goldlöckchen wartet auf die Kinder.«
Die Gestalt drehte sich um und rief: »Ja, Hauptmann.« Er schaute auf Jay hinab: »Was haben wir denn hier?«
»Jay, renn weg.« Die Verzweiflung ihrer Mutter war deutlich. Jay versuchte es, aber der große Mann war schneller. Er griff nach Jay und hielt sie fest. »Dich nehm’ ich als Spielzeug für Navid mit nach Hause.« Er zerrte Jay mit sich, ignorierte ihre Schreie und ging aus dem Haus.

*

»Mamaaaa!« Schweißgebadet wachte Jay auf. Sie blickte sich um und befand sich in ihrer kleinen Besenkammer in Rorgons Haus. Der Brand, die letzten Worte ihrer Mutter, die Begegnung mit ihm - all das lag nun ein Jahr zurück und doch träumte sie jede Nacht davon. Seitdem war sie eine Sklavin und ihr Hass auf Rorgon und seine Familie wuchs täglich. Sie rappelte sich auf und machte sich daran, die ihr aufgebürdete Pflicht zu erfüllen. Sie würde keine Schwäche zeigen.

*

Sie begab sich ins Esszimmer, um das Frühstück vorzubereiten. Nachdem sie die Kerzen entzündet hatte, wollte sie den Kamin anfachen. Jay schichtete die Holzscheite auf, als ein lautes Poltern ertönte.
Navid rannte die Treppe herunter. Die pummelige Blondine war elf Jahre alt, ebenso wie Jay. Dennoch gab es keine Sympathie zwischen ihnen. Das dicke Mädchen kam direkt auf Jay zu, grinste über das ganze Gesicht und gab ihr einen Stoß. »Los, weg da.«
Jay konnte das Gleichgewicht nicht halten und fiel rückwärts in das Kaminbesteck, das lautstark mit ihr zu Boden ging.
Rorgon tauchte am oberen Treppenabsatz auf. Sein Gesicht hatte eine rötliche Färbung. Stufe um Stufe stieg er nach unten, die alten Holzbretter knarrten und seine Stimme überschlug sich. Was er von sich gab, registrierte Jay nicht. Ihr Blick fiel auf den Stock, den er in seiner rechten Hand trug. Diesen kannte sie nur zu gut.
Statt jedoch zu ihr zu kommen, ging Rorgon auf Navid zu und gab ihr eine Ohrfeige. »Pass besser auf sie auf. Hast du ihren Namen?« Navid senkte den Kopf. Rorgon drückte ihr den Stock in die Hand, rückte einen Stuhl zurecht und setzte sich.
Navid kam auf Jay zu. Sie erhob den Stock und begann auf Jay einzuschlagen. »Sag mir endlich deinen Namen. Ich will ihn wissen. Sag ihn mir!«
Jay biss die Zähne zusammen. Wieder und wieder spürte sie das Holz. »Los, sag es mir doch endlich.« Verzweiflung lag in Navids Stimme.
Jays Blick wanderte zu Rorgon, der die Szene mit eiserner Miene beobachtete.
Navid schlug weiter und vor Jays Augen wurde es schwarz.

*

Nackt und zitternd stand Jay im Innenhof. Das Wasser mit dem Emele und Navid sie überschüttet hatten, war eiskalt gewesen. Ihre schwarzen Haare, die schmutzverkrustet und angesengt waren, klebten an ihrer Wange. Der Ruß und Schmutz der Nacht lief an ihr herunter und enthüllte weiße Haut. Emele runzelte die Stirn. „Jay, komm her!“
Jay ignorierte die Aufforderung.
Emele gab ihr eine Ohrfeige. »Wenn ich sage, Jay, komm her, gehorchst du gefälligst.« Sie griff nach Jays Gesicht und drehte es hin und her. »Seltsam«, entfuhr es ihr.
»Das ist nicht mein richtiger Name!«, erwiderte Jay mit Trotz in der Stimme.
»Und wie heißt du wirklich?«, mischte sich Navid ein.
Jay spuckte Navid ins Gesicht.
Emele blickte zu Navid: »Schlag sie!« Navid zögerte, kam der Aufforderung dann aber doch nach. »Noch einmal«, feuerte Emele ihre Tochter an. »Schlag sie solange, bis sie dir ihren Namen sagt.«

*

Jay wurde erneut in ihrer Besenkammer wach. Die Schmerzen, die sie in ihrem Traum erlitten hatte, waren längst vorbei. Die des Vormittages jedoch nicht. Wie so oft war sie ohnmächtig geworden. Aber niemals hatte sie nachgegeben. Lieber würde sie alle Erniedrigungen ertragen, als Navid diese Genugtuung zu geben. Direkt vor ihrem Bett stand ein Korb mit Kartoffeln und obenauf lag ein Messer. Typisch Emele. Jay verstand ihre Botschaft und machte sich daran, mit dem Schälen zu beginnen.

*

Eine Tür knarrte. »Herrin Dunkelruferin!«, hörte sie Emeles Stimme. »Die Küche ist kein angemessener Ort. Wir hatten Euch erst in einer Woche erwartet.«
Jays Aufmerksamkeit war geweckt. Sie huschte zur Tür ihrer Kammer und blickte durch eine kleine Spalte auf das Geschehen.
Eine elegante, in dunkle Roben gekleidete Frau stand mitten im Raum. Graue Strähnen durchzogen das schwarze Haar. Sie hielt einen Stab, der am oberen Ende von einem Kreuz gekrönt wurde. Daran hingen, an Bändern befestigt, zierliche Knochen. Sie waren so verbunden, dass man ihre ursprüngliche Anordnung noch erkennen konnte. Hände.
Jay blickte auf ihre eigene Hand und vermutete, dass die Knochen von Kindern stammten, die weitaus jünger gewesen waren als sie selbst. Sie schauderte.
Navids Eltern standen mit gesenkten Köpfen vor der Frau. »Nicht angemessen?«, erwiderte die Besucherin, fuhr jedoch fort, ohne eine Antwort abzuwarten. »Nicht angemessen ist, dass ihr es versäumt habt, ein wärmendes Feuer im Saal zu machen. Seid froh, dass ich mit eurer Küche vorliebnehme. Jetzt verschwindet und schickt eure Tochter herein.«
»Aber Herrin, wir dachten, dass wir der Erwählung beiwohnen dürfen?«, wandte Rorgon zögerlich ein.
Die Dunkelruferin lachte. »Erwählen? Ich wärme mich kurz auf und fahre dann mit eurer Tochter zurück. Ich weiß nicht, was ihr getan habt, um dem SCHATTENKÖNIG zu dienen, und es ist auch nicht von Belang. Nun geht und schickt mir eure Tochter herein.«
Wortlos verließen beide den Raum.
Die Dunkelruferin setzte sich und wirkte zufrieden.
Jay war tief beeindruckt. Sie fragte sich, warum sie jemals Angst gehabt hatte vor diesen Menschen. So leicht und mit ein paar Worten hatte die Frau in Schwarz Rorgon und Emele in ihre Schranken verwiesen. Jay wünschte sich, sie hätte auch eine solche Macht.
Die Küchentür öffnete sich erneut und Navid betrat den Raum. Sie näherte sich vorsichtig und sah die Frau in Schwarz mit großen Augen an. Jay konnte die Angst in Navids Gesicht erkennen, als die Frau sich erhob und sie gründlich musterte.
»Noch so ein Haufen Elend. Wie lautet dein Name?«
Das Mädchen zögerte kurz mit der Antwort und blickte zur Dunkeruferin auf: »Navid.«
Die alte Frau gab ihr eine Ohrfeige. »Navid, Herrin!«, donnerte es.
Navids Wangen färbten sich rötlich und Tränen rannen über ihr Gesicht.
»Nun, dann wollen wir mal. Wenn draußen sechs Kutschen stehen, wie viele Räder ergibt das dann?«
Navid machte Anstalten, die Küche zu verlassen.
»Was soll das denn werden? Du sollst rechnen und nicht weggehen.« In der Stimme der alten Frau lag Zorn.
»Ihr habt doch gesagt, draußen stehen Kutschen?«, erwiderte Navid frech.
Wieder schallte eine Ohrfeige. Navid fasste sich an die Wange und ergänzte: »Herrin.«
»Gleich am Heulen und nicht sehr helle«, urteilte die Dunkelruferin. »Kein Gewinn für den Kult.«
»Herrin, darf ich Euch eine Frage stellen?« Die Stirn der Dunkelruferin kräuselte sich. »Stell deine Frage!«
Navid schluckte: »Wie lange dauert es, bis ich auch eine Dunkelruferin bin?«
Die alte Frau wirkte erheitert. »Du, eine Dunkelruferin? Das wirst du niemals. Die Küche ist gerade gut genug für dich.«
Jay konnte die Überraschung sehen, die sich auf Navids Gesicht abzeichnete.
Die Dunkelruferin verließ die Küche. Ihre Stimme war noch im Flur zu hören, jedoch konnte Jay nicht verstehen, was sie sagte.

Emele und Rorgon betraten die Küche.
»Mami, ich will nicht mit. Die Frau hat mich geschlagen.«
Rorgon hob drohend die Hand. »Wenn du deine Klappe nicht hältst, wird dir das noch öfter passieren. Geh und pack deine Sachen.«
Navid wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ja, Vater.«
Rorgon schaute zu Emele, nachdem Navid die Küche verlassen hatte. »Wir müssen das Mondkind loswerden, ich kümmere mich in der Nacht darum.«
»Aber warum? Dann muss ich ja alles alleine im Haushalt machen.«
»Hast du nicht zugehört? Sie werden nächste Woche die ganze Gegend durchsuchen. Wir hatten Pech, dass die Dunkelruferin eine Woche zu früh kam, aber Glück, dass sie nichts bemerkt hat.«
Emele schmiegte sich an Rorgon, »Rorgon, bitte.«
Dieser holte aus und gab auch ihr eine Ohrfeige. »Geh weg, Weib, ich lass’ mich nicht wieder von dir einwickeln. Ich hätt’ sie gleich töten sollen.«

*

Nachdem die beiden die Küche verlassen hatten, setzte sich Jay mit angezogenen Beinen auf ihre Liege und dachte nach. Die Worte der Dunkelruferin kamen ihr in den Sinn. »Vierundzwanzig«, sprach sie in den Raum hinein. »Ich hätte mich nicht so angestellt wie diese dumme Gans. Ich heule nicht und ich bin nicht fett.« Es war ungerecht, dass Navid nun abreisen sollte und sie sollte hierbleiben. Rorgon und Emele kamen ihr in den Sinn. Mondkind, hatten sie gesagt. Das hatte sie schon einmal gehört. Sie versuchte, sich zu erinnern.

Jay lag auf dem kalten Boden der Besenkammer. »Was ist passiert?«, hörte sie Emele aus der Küche.
»Emele, ich bin jetzt Hauptmann!« Stolz lag in Rorgons Stimme. »Schattengraf Gadior war nicht erfreut darüber, dass er Goldlöckchen genannt wurde. Irgendjemand muss ihm das gesteckt haben.« Beide lachten.
»Und weil die Essenz der Kinder, die wir im Feindesland raubten, sehr erfrischend für ihn war, hat er versprochen, dass Navid verschont und im Kult aufgenommen wird.«
»Dann bin ich jetzt die Frau eines Hauptmanns und meine Tochter wird Priesterin. Damit sticht mich im Dorf niemand mehr aus«, stellte Emele fest. »Hast du dem Grafen gesagt, dass du ein Mondkind gefunden hast?«
Rorgon hustete: »Was sagst du da?« Irgendetwas schien ihn zu beunruhigen. »Verdammt. Ich wollte doch nur ein Kind für Navid behalten. Wenn Gadior erfährt, dass ich ihm ein Mondkind vorenthalten habe, bringt er uns um.«
»Niemand muss davon erfahren. Ich kann eine Hilfe im Haus brauchen.« Emeles Stimme klang zuckersüß. »Komm, lass uns ins Schlafzimmer gehen und feiern. Mein Hauptmann!«

Jay erschrak: Sie war das Mondkind. Rorgon wollte sie loswerden. Doch wenn der Kult ein Mondkind wollte, würde die Dunkelruferin Jay vielleicht mitnehmen.
Ein Funken Hoffnung glühte in ihr auf, wurde zu einer Flamme, einem Brand. Sie sprang auf und ging zur Tür, trat dagegen und rüttelte daran, aber es tat sich nichts.
Langsam ging sie einen Schritt in ihrer Kammer zurück. Mit voller Wucht rannte sie gegen die Tür. Ihre Schulter schmerzte, aber die Tür blieb geschlossen. Sie versuchte es erneut und ging etwas weiter zurück als zuvor. Dabei fiel sie über den Korb mit den Kartoffeln. Beinahe hätte sie sich an dem Schälmesser verletzt, das darauf lag.
Das Messer! Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Sie nahm es auf und ging zur Tür. Sie steckte die Klinge durch den kleinen Spalt unterhalb des Riegels und versuchte diesen von unten hochzuschieben.
Jay brauchte einige Anläufe, bis der Riegel sich bewegen ließ. Ein Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. Rorgon hatte vergessen, den Verschluss zu sichern. Die Tür ließ sich nun öffnen.
Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrat die Küche. Sie blickte auf das dunkle Loch, das ihr das letzte Jahr als Schlafstätte gedient hatte. Wut keimte in ihr auf. Doch sie hatte nicht die Zeit, ihren Gefühlen nachzugeben. Sie trat durch den Hinterausgang in den Hof. Dort schaute sie sich um. Die Hühner des Nachbarn pickten auf dem Boden und in der Ferne war das Bellen eines Hundes zu hören. Wenn sie die Dunkelruferin noch erreichen wollte, durfte sie nicht der Straße folgen. Sie musste durch das kleine Wäldchen hinter dem Haus abkürzen und anschließend durch den Bach schwimmen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie die Kurve vor der Wassermühle erreichen, bevor die Kutsche dort sein würde. Sie verstaute das Messer sicher in ihrer Rocktasche und rannte los.

*

Deutlich zeichnete sich der Schattenriss der Mühle ab. Jay atmete schwer. Dicke Schweißtropfen rannen ihr von der Stirn. Das Wasser des Baches lief ihr aus den Kleidern und ihr war kalt. Ihr Plan war aufgegangen. Die Kutsche und die Soldaten bogen gerade um die Kurve. Sie stellte sich ihnen in den Weg.
Der Wagenführer hielt die Kutsche an. »Was ist da draußen los?«, drang die wütende Stimme der Dunkelruferin nach außen.
»Herrin, ein Kind blockiert den Weg.« Der Kutscher kratzte sich am Kinn.
»Du Narr, wie kann ein Kind den Weg blockieren? Überfahre es, wir wollen keine Zeit verlieren.«
Der Mann auf dem Kutschbock wollte gerade die Zügel knallen lassen, als Jay sich rufen hörte: »Ich will mit Euch fahren, Herrin!«
Die Wagentüren öffneten sich und die Dunkelruferin trat heraus. Navid drängelte sich an ihr vorbei. Die alte Frau ignorierte das pummelige Mädchen und sah Jay direkt in die Augen. »Was fällt dir eigentlich ein?«, zischte sie. »Ich habe schon ein Kind im Wagen, das ich mitnehme. Ich sollte dich …«
Jay bemerkte die Grimasse der Dunkelruferin, ließ sich jedoch nicht beirren und fiel ihr ins Wort. »Vierundzwanzig, Herrin. Vierundzwanzig Räder sind an den Kutschen.«
Um ihre Entschlossenheit zu untermauern, umschloss Jay den Griff in ihrer Rocktasche und trat auf Navid zu. Mit einer schnellen Bewegung holte sie das Messer heraus und stach es dem Mädchen ohne zu zögern in den Bauch.
Noch während sich ein Blutfleck auf Navids Hemd ausbreitete, ging diese in die Knie und suchte vergeblich Halt in Jays Armen.
Jays Blick war kalt und sie wand sich, sodass diese zu Boden fiel.
Blut lief aus dem Mund des blonden Mädchens und der Atem rasselte.
Jay wartete, bis sie reglos lag und blickte dann zur Dunkelruferin, die die Szene aufmerksam beobachtet hatte. »Jetzt habt Ihr nur noch ein Kind im Wagen, Herrin.«
Die Grimasse der Dunkelruferin wurde zu einem Grinsen: »Sehr gut. Der Tag ist doch nicht so langweilig, wie ich es zunächst erwartet hatte.« Die alte Frau musterte Jay. »Helle weiße Haut, pechschwarze Haare, blasse Lippen. Ich glaube, ich habe doch noch mein Mondkind bekommen. Wie lautet dein Name, Kind?«
Die Zeit der Geheimnisse war vorbei, schoss es Jay in den Kopf. »Jittara, Herrin. Mein Name ist Jittara
»Wo kommst du her?«
Jittara blickte auf und zeigte dann auf Navid. »Ich habe bei ihren Eltern gelebt. Sie haben mich versteckt.«
Die Dunkelruferin winkte einen Mann der Eskorte herbei: »Gardist, die Eltern des Mädchens begleiten uns. Holt sie ab!« Der Gardist nickte und er und ein paar weitere Männer ritten zum Dorf zurück.
»Nun, Jittara, steig ein. Überlassen wir die Reste den Raben.« Jittara tat wie geheißen.
Der Wagenführer ließ die Zügel knallen und die Kutsche setzte sich rumpelnd in Bewegung.
Das letzte, was sie an diesen Ort erinnern würde, war das Krächzen der schwarzen Vögel, die sich bereits um Navids Überreste stritten.